Sehr geehrte Frau Uhlig, sehr geehrte Frau Stadträtin, sehr geehrter Herr Stadtrat,
als Trägerverein von Projekten zur Förderung der Frauengesundheit und der Gleichstellung von Frau und Mann, der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und von verschiedenen Beratungsstellen mahnen wir an, keinerlei Streichungen der finanziellen Mittel für Projekte unseres Vereins bzw. anderer ähnlicher Vereine und anderer NGOs zuzulassen. Im Gegenteil, die gesamte Förderung MUSS aufrechterhalten werden.
Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes verpflichtet den Staat nicht nur zur formalen Gleichstellung von Frauen und Männern, sondern auch zur aktiven Förderung ihrer tatsächlichen Gleichberechtigung und zur Beseitigung bestehender Nachteile. Diese Pflicht gilt auf allen staatlichen Ebenen – auch in den Kommunen. Für Städte und Gemeinden bedeutet das: Sie müssen durch gezielte Maßnahmen wie kommunale Gleichstellungspläne, Förderprogramme für Frauen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie durch Quotenregelungen aktiv Strukturen verändern, die Benachteiligungen fortschreiben.
Gleichstellungsarbeit ist damit kein „freiwilliges“ Zusatzangebot, kein nice-to-have, sondern ein verfassungsrechtlicher Auftrag. Dazu gehört auch die kommunale Gewaltschutzarbeit. Gewalt gegen Frauen und Mädchen – insbesondere häusliche und sexualisierte Gewalt – ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung, die strukturell verhindert, dass Gleichstellung erreicht wird.
Kommunen sind verpflichtet, funktionierende Hilfesysteme wie Frauenhäuser, Schutzwohnungen, Beratungsstellen und Notrufdienste zu sichern und auszubauen. Ebenso zählt die Präventionsarbeit, etwa durch Aufklärungskampagnen, Vernetzung von Fachstellen und Schulungen von Behördenmitarbeitenden, zu ihrem gesetzlichen Auftrag.
Die Grundrechtsbindung der Kommunen (Art. 1 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 28 GG) verpflichtet sie, das Gemeinwohl aktiv zu fördern. Gleichstellung und Gewaltschutz sind hierbei zentrale Bestandteile einer zukunftsfähigen, demokratischen und menschenrechtsorientierten Kommunalpolitik. Das Grundgesetz stellt so sicher, dass Gleichstellungspolitik und Gewaltschutzarbeit nicht nur formale Zielsetzungen bleiben, sondern in der konkreten Lebenswirklichkeit wirksam umgesetzt werden.
Zudem ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (kurz: Istanbul-Konvention) geltendes Recht in Deutschland. Auch die Städte und Kommunen sind zur Umsetzung verpflichtet. Die Kapitel des Landesaktionsplans zur Istanbul-Konvention
- Prävention durch Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit
- Unterstützung und Schutz durch Hilfsdienste
- Einsatz ausgebildeter Fachkräfte
- Einrichtung von Frauenhäusern koordinierende Maßnahmen
bauen auf bestehenden Strukturen auf und beinhalten deren Ausbau, denn insbesondere im Bereich Häusliche Gewalt sind die Fallzahlen steigend, was belegt, dass man sich nicht auf Bestehendem „ausruhen“ und schon gar nicht Mittel für den Fortbestand einschlägiger bestehender Strukturen streichen kann.
Auch das im Februar dieses Jahres in Kraft getretene Gesetz zur Sicherung des Zugangs zu Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt (Gewalthilfegesetz – GewHG) sieht den Auf- und Ausbau entsprechender Hilfeeinrichtungen vor. Insbesondere besagt §7 (6) des GewHG: „Träger, die bereits vor Inkrafttreten dieses Gesetzes … Fachberatungsstellen betrieben haben oder denen Fachberatungsstellen angeschlossen sind, gelten bis zu drei Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes als anerkannt im Sinne dieses Gesetzes.“
Zusammenfassung: Nicht nur nach Artikel 3 Absatz 2 GG sind Kommunen verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern aktiv zu fördern und bestehende Nachteile zu beseitigen. Dazu gehört auch der Schutz vor Gewalt, insbesondere häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt. Städte und Gemeinden müssen wirksame Strukturen wie Frauenhäuser, Schutzwohnungen, Beratungsstellen und Präventionsprogramme sichern und ausbauen. Gleichstellungspolitik und Gewaltschutz sind damit kein freiwilliges Angebot, sondern verfassungsrechtlich verankerte Kernaufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge.
Das bestehende Hilfesystem im Freistaat Sachsen bzw. auch in der Stadt Leipzig aufzubauen, ist das Ergebnis jahrzehntelanger, engagierter Arbeit. Jede finanzielle Kürzung in dieser ohnehin fragilen Strukturen bedroht diese nachhaltig. Es ist völlig absurd, diese bereits vorhandenen Einrichtungen jetzt „kaputtzusparen“, um sie dann gemäß des GewHG wieder aufzubauen.
Wir fordern Sie als gewählte Volksvertreterin und Volksvertreter dazu auf, sich für die Einhaltung von bestehenden Gesetzen einzusetzen und dafür zu sorgen, dass die Förderung der bestehenden Hilfestrukturen ohne Abstriche aufrechterhalten wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Ulrike Böhm
Vorständin des Bellis e.V.